KAPITEL 1
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> Eilig warf ich einen Blick auf die Uhr, bevor ich die Treppe aus der U-Bahn hocheilte. Die Zeit drängte, denn in nur 15 Minuten würden die Türen verschlossen werden und ich müsste eine weitere eisige Nacht bei -3 Grad draußen verbringen. Der Gedanke allein ließ mich schneller durch die Gasse laufen, angetrieben von der Aussicht auf Wärme.
> Schließlich erreichte ich gerade noch Pünktlich "Maries Haus" und klingelte hastig an der Tür. Früher hätte ich den Namen mit einem Wohnungspuff in Verbindung gebracht, doch dieses war es keinesfalls. Als die Tür geöffnet wurde, begrüßte mich eine junge Frau mit einem strahlenden Lächeln. Ihre Augen funkelten im Licht der Eingangshalle, während ihr langes Haar sanft über ihre Schultern fiel. Sie trug ein lässiges Outfit.
> "Hallo Vandas, du bist heute sehr knapp dran", begrüßte die junge Frau mich. Entschuldigung, ich muss schnell auf die Toilette", rief ich hastig und eilte an ihnen vorbei. Meine müden Glieder waren durchgefroren von der Kälte draußen. Trotzdem hatte ich nur eine Kleinigkeit gegessen und das Abendessen war für mich uninteressant. Alles, was ich wollte, war ins Bett zu fallen und zu schlafen. Das quietschende Metallbett begrüßte mich, als ich mich endlich niederlegte. Eva schien noch im Fernsehraum zu sein, also genoss ich die Stille allein im Zimmer.
> Die gelben Tapeten zogen sich an den Wänden entlang, als ob sie die Dunkelheit des Raumes verstärken wollten. Die weißen Metallschränke standen in der Ecke, kalt und unpersönlich wie eine in einem verlassenen Stadion.
> Plötzlich erklang ein Klopfen an der Tür und Marion trat herein. "Vandas, komm bitte kurz in unser Büro", sagte sie und schloss die Tür hinter sich. Ich folgte ihrer Anweisung.
> Auf dem Flur herrschte Unruhe, während ich mich auf den Weg zum Büro machte. In einer Ecke stritten Eva und einer der ehrenamtlichen Helfer heftig miteinander, ihre Worte nur Fetzen für mich. Unbeirrt ging ich weiter.
> Als ich endlich gegenüber von Marion am Schreibtisch Platz nahm, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich nicht allein war. Zwei weitere Personen betraten das Büro und fixierten mich mit ihren Blicken. Die Frau nickte nur knapp, während der Mann das Schweigen brach und begann zu sprechen, noch bevor ich die Chance hatte zu verstehen, was hier vor sich ging.
> "Hallo, ich bin Kommissar Winterscheid", sagte er mit bestimmendem Ton, während sein Blick ununterbrochen auf mir ruhte. Ich saß in dem viel zu kleinen Büro, der schwarze Bildschirm des ausgeschalteten PCs starrte mich an. Akten und Blätter bedeckten den Tisch, einige davon enthielten Informationen über Tagesaufenthaltsorte wie Suppenküchen und Kleiderkammern. Durch die beiden großen Fenster fiel tagsüber angenehmes Licht herein, doch jetzt spiegelte sich nur die Dunkelheit des Innenhofs darin wider.
> Ich schluckte nervös, bevor ich antwortete: "Ich heiße Vandas, warum möchten Sie das wissen?" Die Kommissarin mischte sich ein und forderte mich auf, meinen Ausweis und meinen echten Namen vorzulegen. Die Situation schien aussichtslos, meine Flucht schien ein abruptes Ende gefunden zu haben. Stumm reichte ich meinen Ausweis herüber. "Sabine Bachmann", las sie laut vor. "Es liegt eine Vermisstenanzeige gegen Sie vor. Sind Sie sich dessen bewusst? Wir müssen sicherstellen, dass es Ihnen gut geht. Ist das der Fall?"
> Die Kommissarin sprach weiter, ohne mir die Möglichkeit zu geben, etwas zu erwidern. "Wenn dem so ist und Sie freiwillig hier sind, können Sie vorerst hier bleiben und werden bald zur Dienststelle vorgeladen." Mit diesen Worten beendete sie ihren Monolog.
> Nervös und gleichzeitig geschockt gingen meine Blicke abwechselnd zur Kommissarin und Marion, der Leiterin der Notschlafstelle. Mein Herz pochte wild, als ich nickte, bevor ich endlich die richtigen Worte fand und fragte: "Wie geht es jetzt weiter? Bin ich nicht verhaftet oder werde zurückgebracht?" Meine Stimme bebte vor Angst.
> "Sie sind erwachsen und ein freier Mensch", erwiderte der Kommissar ruhig, bevor sich beide von Marion verabschiedeten und das Büro verließen. Draußen hatte sich eine Traube neugieriger Bewohnerinnen gebildet, die freiwilligen Helfer hatten Mühe, sie zurückzuhalten. Plötzlich hörte ich Eva von hinten schreien: "Mit der da bleibe ich nicht auf dem Zimmer."
> Marion schloss die Tür hinter den Kommissaren und ließ mich kurzzeitig alleine im Büro zurück. Durch die Glastür sah ich, wie die Kommissare die Einrichtung verließen und langsam alle Frauen beruhigen konnten, sodass sie in ihre Zimmer zurückkehrten.
> "Da hast du aber für einen ganz schönen Schrecken und Tumult gesorgt", sagte Marion ruhig zu mir, als sie wieder ins Büro kam. Ihre Worte klangen beruhigend, aber ich spürte immer noch die Anspannung in der Luft.
> Wieder war ich nur zu einem kurzen Nicken fähig, als meine ganze Welt in sich zusammenzubrechen schien. Meine Maske, mein Fluchtplan - alles wurde innerhalb weniger Minuten zerschmettert. Ein Schauer lief über meinen Körper und der Drang, mich in die hinterste Ecke zu verkriechen, wurde übermächtig. Doch ahnte ich nicht, dass dieser Wunsch schneller in Erfüllung gehen würde, als mir lieb war.
> "Vandas, keine Sorge", sprach sie beruhigend auf mich ein. "Unser Team wird dich weiterhin so nennen und du kannst vorerst hier bleiben. Allerdings musst du in ein anderes Zimmer umziehen. Nur Betten im Untergeschoss sind noch frei. Am Montag kannst du mit einem unserer Sozialarbeiter sprechen und dann sehen wir weiter, was wir aus diesem Dilemma machen können."
> Erleichtert bedankte ich mich bei ihr und gemeinsam verließen wir das Büro, um meine Sachen zu packen. Eva blieb zum Glück im Aufenthaltsraum zurück, sodass mir zumindest der Stress erspart blieb.
> Es dauerte nicht lange, bis wir gemeinsam zu den anderen Zimmern gingen. Der Weg führte uns durch den Speiseraum, der mit einem hellen Holzboden ausgelegt war. An den Seiten standen schlichte Tische aus Buchenholz, bedeckt mit weißen Tischdecken. Auf der Theke sah man Wasserkocher und andere kleine Geräte stehen. Ein schmaler Gang führte uns zur Mitarbeitküche, doch bevor wir diese erreichten, bog Marion plötzlich links ab. Eine schmale Treppe führte uns hinab ins Untergeschoss. Die Räume dort wirkten noch düsterer und wenig einladend.
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> Hinter der Badezimmertür bogen wir in ein Vierbettzimmer ab. Es waren die gleichen kalten und abweisenden Möbel wie oben, nur dass hier bis zu vier Frauen Platz finden konnten. Nach einem kurzen Gespräch verabschiedete sich Marion und ließ mich alleine im Raum zurück. Ich hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn man mich entdecken würde. Zumindest war es nicht ER, der mich gefunden hatte.
> Die Müdigkeit hatte mich fest im Griff, als ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel. Doch in den frühen Morgenstunden wurde ich plötzlich von einem unbestimmten Gefühl hochgeschreckt. Unfähig, wieder in den Schlaf zu finden, griff ich nach meinem Handy und schaltete es ein. Meine Finger zitterten leicht, als ich begann, wild zu googeln. Zuerst gab ich meinen eigenen Namen ein und stieß auf einige belanglose Informationen - Wettkämpfe, ein verwaistes Facebook-Profil und eine Abschlussfeier.
> Doch dann wagte ich mich an andere Begriffe heran. „Flucht?“ Nichts.
> “ Vermisst oder Fahndung?“. Und da war er - der Volltreffer! Ein Foto von mir, ein Privates nur wenige Monate alt, mit einem Suchaufruf darunter: "Seit dem 2.1 wird die 33-jährige alte Frau vermisst." Mein Atem stockte, als ich weiter las. „Anfangs wurde von einem möglichen Suizid ausgegangen, doch ein Verbrechen konnte nicht ausgeschlossen werden. Wo war sie?“
> Mein Herz begann heftig zu pochen, meine Hände wurden feucht vor Angst. Was hatte ich nur angerichtet? Ein Video tauchte auf, datiert von vor zwei Tagen. Es zeigte den Kanal in der Nähe unseres Hauses. Mit zitternden Fingern klickte ich darauf…
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> „Als ein Plastikbeutel mit persönlichen Gegenständen von Sabine B. Gefunden wurde begann die Polizei nach der 33-jährigen Frau zu suchen.“ Begann das Video. „Es kreiste ein Hubschrauber über den Platz, während Taucher, Suchboote und Hundestaffeln das Gewässer durchkämmte. Die Präsenz der Ordnungshüter war überwältigend“
> Die Schlagzeile im Beitrag drunter verkündete knapp: "Polizei sucht nach vermisster Sabine B. Doch die Situation schien ernster zu sein als gedacht……..“
> „…. einen möglichen Suizid im Kanal machten die Runde, und die Ermittler schlossen mittlerweile auch ein Verbrechen nicht mehr aus.“
> In dem Plastikbeutel, der meine Jacke enthielt - die ich zurückgelassen hatte, als ich vor meinem Mann geflohen war - fand man. Ich las die Berichte weiter, unfähig klar zu denken und von Angst gelähmt. Was hatte meine Flucht wirklich ausgelöst?
> Ich saß immer noch auf dem Metallbett der Notschlafstelle. Es würde noch eine Weile dauern, bevor ich hochgehen könnte zum Frühstück. Trotz der erschreckenden Nachrichten wollte ich mehr wissen. Denn neben dem Schrecken, den ich angerichtet hatte, gab es nur eines, was mich noch mehr quälte. Was war mit meinen beiden Kindern passiert? Hatte das Jugendamt sie geholt? Oder sind sie bei ihrem Vater geblieben? Und welche dunklen, furchtbaren Geheimnisse würden durch den Medienrummel an die Öffentlichkeit kommen? Ich sah, dass einige Zeitungsberichte bei Facebook waren. Aber ohne mein altes Profil konnte ich nichts lesen. Rein gar nichts. Außer die haarsträubenden Presse- und Polizeiberichte.
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> Ich öffnete die Facebookseite und gab meinen damaligen Benutzernamen ein. Es war auch mein echter Name und auch ein Jugendfoto von mir war für alle ersichtlich. Das Passwort war nicht gespeichert. So ein Mist. Ich konnte nur hoffen, dass eines der Passwörter, die ich sonst immer nahm, passen würde. Mein Geburtsdatum. Mist, das war es nicht. Vielleicht mit einem Sonderzeichen dabei? Verdammt, das war es auch nicht. Wütend sprang ich auf und ging im Raum hin und her. Ich hatte noch einen Versuch. Vielleicht mein Nachname mit Sonderzeichen? Das hatte ich ja auch für mein E-Mail-Programm. Nervös tippte ich alles ein. Der Bildschirm veränderte sich. Hatte es geklappt? "Ihr Konto wurde gesperrt!" Oh nein, es war vorbei. Ich öffnete meine E-Mails in der Hoffnung, dort einen neuen Zugangscode zu finden. Tatsächlich gab es eine Nachricht von Facebook. Wenn ich meinen Personalausweis einscanne und mich legitimieren kann, bekäme ich ein neues gültiges Passwort zugesendet. In Windeseile hatte ich alles Erforderliche eingereicht und wartete nun darauf, dass etwas passierte. Ich nutzte die Zeit, um mich umzuziehen und frisch zu machen. Kleidung hatte ich nur das, was ich am Körper trug und einmal Wechselsachen im Rucksack. Zum Schlafen nahm ich die lange Unterwäsche. So kam ich vorerst zurecht. Pling machte mein Handy. Eine Facebook Nachricht! Aufgeregt klickte ich mich durch die Freischaltung und konnte endlich mein Profil öffnen.
> Ich lese mich durch die Artikel und bleibe an einem hängen, der von einem Suizid und möglichen Verbrechen berichtet. Die meisten Kommentare enthalten nur die Information, dass derjenige den Suchaufruf geteilt hat. Doch dann entdecke ich die ersten wichtigen Informationen. "Der arme Mann mit den Kindern alleine", antwortet jemand. Der nächste kommentiert: "Die Kinder sind nicht mehr bei ihm, sondern in einer Pflegefamilie/Heim." Eine andere Person schreibt: "Meine Tochter geht in denselben Kindergarten wie eines der Kinder, und ich weiß diese Information aus erster Hand." Ein weiterer Kommentar lautet: "Bestimmt hat der Mann etwas damit zu tun." Ich lese weiter durch den Berg an Informationen, doch das Wichtigste weiß ich nun: Die Kinder sind in Sicherheit.
> Plötzlich erhalte ich eine private Nachricht nach der anderen. Ich öffne den Messenger. "Bist du okay?" fragt jemand besorgt. "Melde dich bitte", schreibt ein anderer. "Wo bist du?" heißt es in einer weiteren Nachricht.
> Die Schweißperlen rinnten mir die Stirn herunter, unfähig zu handeln oder angemessen auf eine Nachricht zu reagieren. Während ich mich durch die Flut von Nachrichten scrollte, die größtenteils von dem Tag stammten, an dem die Pressemitteilungen herausgegangen waren, bemerkte ich plötzlich neue Nachrichten von mir unbekannten Kontakten im Spam-Ordner. Eine Audio-Nachricht von einer gewissen Carola ließ mich erzittern: "Was bist du denn für eine asoziale Tussi? Spielst mit den Ängsten anderer und deiner Familie. Wohlbehalten aufgefunden also. Aber hier für einen riesigen Polizeieinsatz sorgen, du bist das allerletzte." Weitere Nachrichten mit wüsten Beschimpfungen trafen ein, und als ich erneut nach mir googelte, stieß ich tatsächlich auf einen kurzen Bericht, der bestätigte, dass ich wohlbehalten aufgegriffen worden war. Ein Seufzer der Erleichterung entwich mir, als ich mich erschöpft in mein Kissen sinken ließ. Endlich mussten keine weiteren Suchaufrufe nach mir gestartet werden.
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> Gerade als ich mein Handy ausschalten wollte, erreichte mich eine weitere Nachricht bei Facebook – von Michael, meinem Mann! Nervös hörte ich die Nachricht ab und musste das Telefon vom Ohr wegnehmen, da er hineinschrie: "Du hinterhältiges Miststück, na warte, ich finde dich und werde dafür sorgen, dass du die Trennung bekommst, die du verdienst. Ich finde dich." Mein Herz raste und der Drang alles zu schließen überkam mich. Das Handy ausschalten. Abschalten. Wer weiß schon, ob und wie er mich darüber finden würde. Panik stieg in mir hoch und ich begann zu hyperventilieren. In diesem Moment höre ich, wie einer der ehrenamtlichen Helfer die Treppe hinunterkommt. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, und ich versuche mich zu beruhigen, während ich nach meiner dicken Jacke und den Handschuhen greife. "Guten Morgen Vandas. Du kannst hochkommen zum Frühstück," ruft Nina mir zu, als ich sie stumm begleite in den Frühstücksraum. Doch mein Magen ist so verkrampft, dass ich keinen Bissen herunterbekomme. Die Worte von Michael hallen immer noch in meinem Kopf wider.
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> Ich schmiere mir zwei Scheiben Brot und packe sie in meine Handtasche, die eher für Proviant und Pfefferspray dient als für Wertsachen. Die wichtigen Dinge trage ich direkt am Körper. Ich will nur raus aus dem Gebäude, um auf andere Gedanken zu kommen, also verabschiede ich mich schnell. Vor der Tür atme ich tief durch und lasse meinen Blick in den Himmel schweifen. Leichter Schnee fällt auf mein Gesicht, und in diesem Moment frage ich mich verzweifelt, wie es so weit kommen konnte. Wie bin ich nur in diese missliche Lage geraten? Und vor allem, wie kann ich da wieder herauskommen und endlich mit meinen Kindern in Sicherheit sein?
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> KAPITEL 2
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> "Wann geht es endlich los, los, los", rufe ich aufgeregt zu meiner Mutter und springe ungeduldig auf und ab. "Wir gehen gleich los, Bine", ruft mir meine Mutter aus dem Kinderzimmer zu. Ich verziehe das Gesicht leicht, als sie mich mit diesem Spitznamen anspricht. Obwohl ich meinen Namen Sabine nicht besonders mag, ist "Bine" für mich noch schlimmer.
> Ich zupfe nervös an meinem bunten Kleid mit den weißen Spitzen herum. Meine Mutter ruft mich ins Bad, aber ich weigere mich standhaft, meine Haare zu machen. "Nein, keine Haare machen. Das ist doof, doof, doof", pampe ich sie trotzig an und bleibe mit verschränkten Armen auf dem Stuhl im Kinderzimmer sitzen. Doch jeder Protest ist zwecklos, denn sie kommt ins Zimmer und beginnt unbeirrt an meinen Haaren herumzuzupfen. "Au au au. AUA das tut weh", protestiere ich weiter, aber sie macht einfach weiter.
> Endlich sind wir fertig und verlassen unsere Wohnung. Stolz trage ich meine große Prinzessinnen-Schultüte mit rosa Tüllspitze vor mir her, während wir zur Schule laufen. "Kommt Papa auch dazu?" frage ich neugierig, als die Ampel in Sichtweite gerät. Seit unserem Umzug vor ein paar Monaten sehen wir ihn nur noch selten. "Ja, er wartet an der Schule auf uns", antwortet meine Mutter mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
> Wir überqueren die Straße bei der Ampel und erreichen schließlich das Schulgebäude.
> Kurz vor der Schulsporthalle erblicke ich meinen Vater und wir gehen zu dritt hinein. Mein hellblonder Zopf wackelt bei jedem Schritt hin und her, während wir uns durch die Menschenmenge bewegen. Die Begrüßungsfeier in der Halle war in Windeseile zu Ende, und ich durfte mit meinen Klassenkameraden zur ersten Stunde alleine gehen. Ich bin unruhig und zappelig, was dazu führt, dass die Lehrerin zweimal mit mir schimpft. Trotzdem war es ein toller Tag für mich.
> Am Ende der Stunde gehe ich schon mit meinem Vater voran, da die Lehrerin noch etwas mit meiner Mutter zu besprechen hat. So genieße ich den Spaziergang mit ihm alleine. Auf dem ganzen Weg macht er Quatsch und strapaziert meine Lachmuskeln bis aufs Äußerste. Trotz seiner 36 Jahren benimmt er sich oft wie ein Clown, immer bereit, mich zum Lachen zu bringen.
> Nur abends wird er oft anders und streitet mit meiner Mama. Sie sagt deshalb, dass er auch nicht mehr bei uns wohnt. Es ist schwer zu verstehen, warum er so unterschiedlich sein kann. Doch oft vergesse ich das unangenehme wieder schnell.
> Kurz darauf kam meine Mutter wieder dazu, ihr Gesichtsausdruck war ernst und ihre Stirn zeigte mehr Falten als üblich. Trotz ihrer 44 Jahre sah sie immer noch unglaublich jung aus. Gemeinsam betraten wir die Wohnung, in der ich es kaum erwarten konnte, meine Schultüte auszupacken. Doch während ich voller Vorfreude war, begannen meine Eltern im Nebenzimmer erneut zu streiten und mein Vater verabschiedete sich eilig. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meine neuen Sachen zu erkunden: einen eigenen Wecker, einen Malblock, Schulmaterial und eine echte Prinzessin als Kuscheltier. Barbies oder feste Puppen mit Kleidern bekam ich nicht mehr geschenkt, da ich sie immer auszog und anmalte, was meine Mutter oft kritisierte.
> Am Abend fiel es mir schwer einzuschlafen, während meine Mutter mir seltsame Fragen stellte. Sie erkundigte sich, ob mich jemand geärgert hatte, ob ich Dinge tun musste, die ich nicht wollte, und betonte, dass ich immer "Nein" sagen durfte. Erst nach diesen Gesprächen las sie mir endlich eine Gute-Nacht-Geschichte vor und ich schlief ein.
> Am folgenden Montag wurde ich sanft von ihr geweckt, meine liebevolle Mutter, die immer ein Lächeln auf den Lippen hatte. Nach einem herzhaften Frühstück begleitete sie mich an meinem ersten normalen Schultag zur Schule. Ich war nun in der 1 B, wo wir viel spielten und malten. Meine frühgeborene Entwicklung, so nannte es Mama immer, brachte einige Herausforderungen mit sich, die sich auch auf meine schulischen Leistungen auswirkten. Von Anfang an wurde ich in verschiedenen Bereichen gefördert, um mein volles Potenzial zu entfalten. Doch schon bald bemerkte ich, dass es mir trotz alle dem schwerfiel, mich lange zu konzentrieren, und einige meiner Mitschüler wollten nicht mehr mit mir arbeiten oder neben mir sitzen. Ich war traurig aber ließ es nicht zu, zu weinen vor den anderen. Es war wie eine innere Stimme die sagte. „Weinen ist verboten das darf man nicht vor anderen.“ Ich verkniff es mir also.
> Nach einem anstrengenden Schultag fuhr mich meine Mutter zur Ergotherapie, wo ich viel spielen durfte, aber auch lernte, wie man einen Stift richtig hält und andere schulische Aufgaben bewältigt. Die ersten Schulwochen verliefen ähnlich, und ich erkannte zum ersten Mal, wie gemein Kinder sein konnten - sie stießen mich absichtlich weg oder wählten mich zuletzt bei Gruppenspielen.
> Nach einigen Tagen klingelte es an unserer Haustür, und dort traf ich Frau Fischer zum ersten Mal. Sie sollte mich ab nächster Woche zur Schule begleiten und mir beim Lernen helfen. Ich fand sie sehr nett; sie hatte langes blondes Haar wie ich, aber ihr Gesicht strahlte eine jugendliche Frische aus, im Gegensatz zum Gesicht meiner Mutter.
> Wir spielten zusammen und sie half mir bei den Hausaufgaben, bevor sie sich mit meiner Mutter unterhielt. Ich hörte wie meine Mutter zum hundertsten Mal davon erzählte das ich per Notkaiserschnitt 10 Wochen zu früh auf die Welt kam und wie schrecklichen doch alles war. Ich ging lieber in mein Zimmer als beiden zuzuhören.
> Zwei Tage später gab mir meine Mutter eine kleine weiße runde Tablette zum Frühstück. Sie erklärte mir, dass ich diese ab sofort jeden Tag nehmen müsse, um mich in der Schule besser konzentrieren zu können. Also tat ich das auch.
> Später hörte ich meine Eltern über die Tablette sprechen sie hieß Ritalin, aber das war mir egal - Hauptsache, ich konnte besser in der Schule mitmachen.
> Als die Schule in der folgenden Woche wieder begann, konnte ich vor Aufregung kaum ruhig sitzen. Ich fragte mich, wie es wohl sein würde, Frau Fischer neben mir in der Klasse zu haben. Meine Mutter gab mir die Tablette und schickte mich zur Schule. Unsere Klassenlehrerin, Frau Wood, stellte den anderen Frau Fischer vor. Sie sprach davon, dass einige Kinder besondere Herausforderungen hätten und deshalb mehr Hilfe benötigten als andere. Einige Kinder kicherten darüber, was ich nicht nett fand. Im Unterricht schien Frau Fischer überrascht zu sein und tat nichts dagegen. Ich arbeitete ruhig und anständig mit, als wäre ich das bravste und ruhigste Kind in der Klasse. Die ganze Woche begleitete sie mich und alles lief immer gleich ab. Doch genauso schnell, wie sie im Unterricht aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder. Am darauf folgenden Montag verabschiedete sie sich aus der Klasse. Ich verstand nun gar nichts mehr und war traurig über ihr plötzliches Verschwinden. Ich umarmte sie fest, ja fast klammerte mich an sie, doch es half nichts - sie war weg. Trotzdem waren einige Kinder aus der Klasse weiterhin nicht nett zu mir und hänselten mich weiterhin, obwohl ich äußerlich wie alle anderen aussah: hübsche Haare, normale Figur - weder zu klein noch zu groß - und keine "Brillenschlange", wie manche ein anderes Mädchen nannten. Ich war einfach nur etwas anders ebend…
> Abends saß ich wieder mit meiner Mutter zusammen und löcherte sie mit Fragen, doch dieses Mal drehte sich alles um meinen Vater. "Mama, warum lebst du und Papa nicht mehr zusammen? Wir sind schon so lange getrennt", fragte ich neugierig. Sie seufzte leicht und antwortete: "Manchmal ist es besser, wenn Eltern nicht mehr zusammenleben. Du weißt doch, wir haben uns oft gestritten. Dein Vater war manchmal sehr gemein zu mir und dann dachte man noch er hätte… ähm… Auf jeden Fall konnten wir uns nicht mehr vertragen. Schlaf jetzt." Plötzlich beendete sie das Gespräch. "Außerdem sind es erst ein paar Monate, erinnerst du dich nicht?", fügte sie hinzu. Ich schüttelte den Kopf und fragte zaghaft: "Kann ich vielleicht am Wochenende zu ihm?" Doch sie antwortete nur knapp: "Ich rede mit ihm. Schlaf jetzt."
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> Ich lag noch lange wach im Bett, ohne dass meine Mutter es bemerkte. Beide Elternteile waren so unterschiedlich. Meine Mutter war ordentlich, klar, achtete auf Sauberkeit, liebevoll und fast nie laut. Mein Vater hingegen war jemand, der gerne Quatsch machte, aber auch streng und oft laut war, besonders gegenüber meiner Mutter. Ob sie sich jemals wieder lieben könnten?
> Die Tage vergingen und ich wuchs als halbwegs normales Trennungskind heran. Mein Vater besuchte uns nun öfter oder ich durfte am Wochenende zu ihm gehen. Trotzdem tat ich manchmal Dinge, über die meine Mutter nur den Kopf schüttelte. An diesem Wochenende kehrte ich früher als gewöhnlich von meinem Vater zurück und hatte sofort Lust, draußen zu spielen. An der Straßenecke entdeckte ich einen Hasen, der überfahren worden war. "Ach du armer kleiner Kerl, ich nehme dich mit und gebe dir ein ordentliches Grab, wie es auch normale Haustiere verdienen", dachte ich laut und legte den Hasen auf den Gepäckträger meines Fahrrads. Als ich nach Hause kam, schob ich mein Fahrrad in den Innenhof. Gerade als ich die Schaufel holen wollte, hörte ich meine Mutter schreien: "Wo kommt das denn her? Geh sofort rein und wasch dir die Hände!" Sie schrie weiter, ohne mir eine Chance zu geben zu antworten. Als ich zurückkam, war der Hase verschwunden. "Wo ist er? Wo hast du ihn hingelegt?", fragte ich aufgelöst.
> „Ich habe ihn weggetan. So etwas ist ekelig, diese Dinger können einen wirklich krank machen. Man fasst so etwas nicht an", schimpft sie mich weiter aus. Wütend schmeiße ich den Fahrradhelm hin und renne weinend in mein Zimmer. Mein Kinderzimmer ist wie ein kleines Paradies für mich, besonders mein Hochbett, das eine kleine Höhle unten hat. Die Vorhänge umrahmen die Höhle und verdecken die Sicht von außen, sodass es sich anfühlt, als ob ich in einer geheimen Welt bin. Mein Lieblingskuscheltier sitzt auf dem Bett und lächelt mich an, während meine bunten Spielzeugautos auf dem Teppich verstreut sind. An der Wand hängen bunte Poster von Prinzessinnen und Einhörnern, die mein Zimmer mit Magie erfüllen. Es ist mein Rückzugsort, wo ich spielen, träumen und einfach ich selbst sein kann.
> Seitdem wir in diesen Sommerferien wieder Urlaub an der Nordsee gemacht haben, streite ich mich öfter mit meiner Mutter. Eigentlich sollte ein Urlaub am Meer toll sein und Spaß machen. Ich war am Meer, baute Sandburgen und unternahm tolle Sachen. Mein Vater war auch mitgereist. Doch beinahe jeden Tag waren wir abends zum Grillen bei meinen Großeltern. Die Erwachsenen redeten nur die ganze Zeit und tranken Getränke, die ich nicht durfte. Als ich mir eine der Glasflaschen nehmen wollte, wurde sie mir gleich weggerissen und ich bekam ein Glas mit Apfelsaft gereicht.
> Abends bot sich mein Opa an, mich ins Bett zu bringen. Er las auch abends tolle Geschichten vor, doch legte seine Hand immer unter meine Decke und ich erinnere mich nie daran, wann und wie ich eingeschlafen bin. Irgendwann bekam ich Angst vor ihm, aber ich wusste nie genau warum. Wenn ich eine Spinne sehe, weiß ich, dass diese Tiere eklig sind und dass ich sie nicht mag. Aber er gehört doch zur Familie, also muss man ihn mögen. Zum Glück waren wir nicht die gesamten Ferien dort, aber meine Mutter verkündete, dass wir nun öfter dorthin fahren würden. "Die heilsame Nordseeluft wird deiner Gesundheit guttun", pflegte sie zu sagen. Und tatsächlich, die Luft an diesem Ort ließ mich freier atmen, besonders da ich unter einer leichten Hausstauballergie litt. Ansonsten führte ich ein recht harmonisches Leben mit meiner Mutter. Doch die Schule entwickelte sich immer mehr zu einem Ort des Schreckens für mich.
> Es gab Momente, in denen ich mich ausgegrenzt fühlte und mir wünschte, ich wäre wie die anderen Kinder. Besonders in solchen Momenten…, Als ich gerade auf dem Schulhof der Grundschule spielte. Plötzlich hörte ich lautes Gelächter und sah, wie drei Jungs aus der vierten Klasse auf mich zuliefen. Die Jungs hatten einen bösen Ausdruck in ihren Augen und ich spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Ohne Vorwarnung packten sie mich und hoben mich hoch. Ich konnte nicht glauben, was geschah - sie hielten mich kopfüber und drohten damit, mich in die Mülltonne zu werfen. Ich schrie vor Angst und flehte die Jungs an, mich loszulassen. Doch sie lachten nur noch lauter und schienen sich an meiner Verzweiflung zu erfreuen. Die anderen Kinder auf dem Schulhof schienen das Ganze zu ignorieren oder fanden es sogar lustig. Doch dann kam die Rettung. Die Pausenaufsicht bemerkte mich und eilte zu Hilfe. Die Jungen bekamen zwar Ärger Doch das änderte nur wenig an meiner Lage in der Schule.
> Die Zeit verging wie im Flug, während ich weiterhin bei meiner Mutter lebte. Alle zwei Wochen durfte ich für ein Wochenende zu meinem Vater. Ein Teil der Sommerferien verbrachten wir traditionell bei meinen Großeltern, auch wenn ich eigentlich lieber woanders gewesen wäre. Meine Mutter begann einen Minijob und arbeitete nun, während ich in der Schule war. Inzwischen besuchte ich die vierte Klasse und musste immer noch regelmäßig Mobbing-Attacken über mich ergehen lassen.
> In der Advendszeit besuchten Wir wieder mal ein Familienfest bei meiner Tante, die in der selben Stadt wohnte wie wir.
> Als ich das Haus meiner Tante betrat, wurde ich von einem festlichen Ambiente empfangen. Der prächtig geschmückte Weihnachtsbaum strahlte in all seiner Pracht, die funkelnden Lichter tauchten den Raum in ein warmes Glühen und der verlockende Duft von frisch gebackenen Plätzchen erfüllte meine Sinne. Normalerweise würde dieses Bild Freude und Wärme in mir wecken, doch an diesem Abend lag eine spürbare Anspannung in der Luft. Die Trennung meiner Eltern hatte mich gezwungen, erwachsen zu werden und mit schwierigen Emotionen umzugehen. Ich musste lernen, meine eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen und zu akzeptieren, dass meine Eltern nicht mehr zusammen waren. An diesem kalten Wintertag sollte sich mein Leben für immer verändern.
> Als meine Eltern sich bemühten, einander höflich zu begegnen und die Feierlichkeit aufrechtzuerhalten, konnte ich ihre Unsicherheit und Verletzlichkeit in ihren Blicken erkennen. Trotz ihrer lächelnden Gesichter und höflichen Floskeln war offensichtlich, dass die Trennung ihre Spuren hinterlassen hatte und es nicht einfach war, wieder als Familie zusammenzukommen. Das Weihnachtsessen im Haus meiner Tante verlief harmonischer als erwartet. Die Familie hatte sich versammelt, um gemeinsam die Feiertage zu feiern, und die Atmosphäre war von Liebe und Wärme erfüllt. Der festlich gedeckte Tisch, die flackernden Kerzen und der köstliche Duft des Essens trugen dazu bei.
> Während des Essens gab es fröhliche Gespräche und herzhaftes Lachen. Ich genoss die Zeit mit meinen Verwandten und fühlte mich in diesem Moment glücklich und geborgen. Es schien, als ob die Trennung meiner Eltern für einen Augenblick in den Hintergrund gerückt war und die Familie wieder als Einheit zusammenkam. Doch plötzlich wurde die harmonische Stimmung durch eine unerwartete Bitte meines Vaters unterbrochen. Er wandte sich an meine Mutter und bat sie, wieder zusammenzuziehen. Ein Moment der Stille legte sich über den Raum, während alle gespannt auf die Reaktion der Mutter warteten.
> Meine Mutter sah überrascht aus. Sie schien überwältigt von der Bitte meines Vaters zu sein und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Die Vergangenheit der Trennung und die damit verbundenen Schmerzen schienen in diesem Moment wieder präsent zu sein. Ich spürte die Anspannung im Raum und fühlte mich unwohl. Ich wusste, dass die Entscheidung, ob unsere Eltern wieder zusammenkommen würden, nicht allein von mir abhing. Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht nach einer intakten Familie und der Realität, dass meine Eltern getrennt waren.
> Die Stimmung blieb angespannt, während meine Mutter nach Worten rang. Schließlich antwortete sie mit leiser Stimme, dass sie Zeit brauche, um über diese Bitte nachzudenken. Es war offensichtlich, dass die Entscheidung nicht leichtfallen würde und dass es viele Faktoren gab, die berücksichtigt werden mussten. Und was die wenigsten am Tisch wussten, war, dass der Grund für die Trennung ein düsteres Familiengeheimnis zugrunde lag, über das alle noch schwiegen… Das Weihnachtsessen, das so harmonisch begonnen hatte, war nun von einer gewissen Unsicherheit und Verwirrung geprägt. Unsere Familie versuchte, die festliche Stimmung wiederherzustellen, doch es war spürbar, dass die Bitte meines Vaters einen tiefen Eindruck hinterlassen hatte.
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> Einige Wochen vergingen, ohne dass eine Entscheidung getroffen wurde, ob meine Eltern wieder zusammenziehen würden. Mein 10. Geburtstag stand bevor und fiel dieses Mal auf einen Sonntag.
> Als ich langsam aus meinem Schlaf erwache, höre ich meine Mutter fröhlich "Happy Birthday to you. Happy Birthday to you." singen. Ihre Stimme klingt wie Musik in meinen Ohren und weckt mich sanft aus meinen Träumen. Als ich meine Augen öffne, sehe ich das Gesicht meiner Mutter, die einen kleinen Kuchen mit einer brennenden Kerze in der Hand hält.
> Voller Vorfreude klettere ich aus dem Bett und folge meiner Mutter in die Küche. Dort erwartet mich ein festlich dekoriertes Frühstückstisch mit all meinen Lieblingsspeisen. Die bunten Girlanden und Luftballons lassen mich vor Freude hüpfen. Es ist ein wundervoller Start in meinen Geburtstag. Nach dem Frühstück soll ich in ihrem Zimmer warten und darf nicht herauskommen, bis ich gerufen werde. Ungeduldig setzte ich mich auf die Bettkante und blickte durch das kleine Schlafzimmer.
> Der Raum war gemütlich und einladend gestaltet. An der einen Seite des Raumes befand sich ein einfaches, aber bequemes Bett mit einer weichen Matratze und einer kuscheligen Bettdecke. Das Bett war mit frischer, weißer Bettwäsche bezogen, die einen Hauch von Eleganz verlieh.
> Gegenüber dem Bett stand ein geräumiger Kleiderschrank, der genügend Platz für Kleidung und Accessoires bot. Die Türen des Kleiderschranks waren aus hellem Holz gefertigt und mit schlichten Griffen versehen.
> Trotz der begrenzten Größe des Schlafzimmers war es geschickt eingerichtet, um den verfügbaren Platz optimal zu nutzen. Die Farben der Wände waren in sanften Tönen gehalten.
> Doch mein Blick fiel auf das Bücherregal, das an der Wand neben dem Kleiderschrank stand. Es war vollgestopft mit Büchern über ein Thema, das mich verwirrte und beunruhigte - Kindesmissbrauch.
> Hmm, überlege ich. In der Schule hatten wir einmal das Thema irgendwie behandelt glaube ich. Es ging um die Bedeutung des "Nein-Sagens" und darum, dass niemand dazu gezwungen werden sollte, sich küssen zu lassen. Es hatte etwas mit dem Thema Missbrauch zu tun. Doch während ich darüber nachdachte, fragte ich mich, warum meine Mutter so viele Bücher zu diesem Thema besaß.
> Ich hatte nie Anzeichen dafür bemerkt, dass so etwas in meiner eigenen Familie passiert war, und ich konnte nicht begreifen, warum meine Mutter sich so intensiv mit diesem Thema beschäftigte. Die Bücher auf dem Regal hatten Titel wie "Das stille Leid: Kindesmissbrauch erkennen und handeln" und "Schattenkinder: Kindesmissbrauch und seine Spuren". Ich fragte mich, ob meine Mutter vielleicht beruflich mit diesem Thema zu tun hatte. Vielleicht machte sie auch solche Vorträge wie der in der Schule letztens. Die Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum und ich fühlte mich unsicher und besorgt.
> Ich beschloss, meine Mutter darauf anzusprechen und nach den Gründen für die Büchersammlung zu fragen. Ich hoffte, dass meine Mutter mir die Antworten geben konnte, die ich so dringend suchte. In der Zwischenzeit betrachtete ich weiterhin das Bücherregal und versuchte, die Geheimnisse zu ergründen, die sich hinter den Buchrücken verbargen. Die Rufe meiner Mutter holten mich aus dem Gedankenkarussell. Ich verließ das Schlafzimmer und betrat den Flur der Wohnung. Der Flur war schmal und mit einem Teppichboden ausgelegt, der leise unter meinen Schritten knisterte. Als ich den Flur entlangging, bemerkte ich, dass die Tür zum Wohnzimmer leicht geöffnet war. Neugierig näherte ich mich und spähte hinein.
> Als ich das sah, war ich überrascht. Inmitten des Wohnzimmers stand meine Mutter, die normalerweise eher zurückhaltend und ruhig ist. Doch dieses Mal strahlte sie vor Freude. Neben ihr saß ein kleiner Dalmatiner Welpe, der mit großen, neugierigen Augen die Umgebung erkundete. Ich konnte ein Lächeln auf dem Gesicht meiner Mutter erkennen, das ich schon lange nicht mehr gesehen hatte. Meine Mutter streichelte liebevoll den Welpen und sprach sanft mit ihm. Der kleine Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und schien die Aufmerksamkeit zu genießen.
> Ich konnte kaum glauben, was ich sah. Meine Mutter hatte nie zuvor den Wunsch geäußert, ein Haustier zu haben. Sie war immer sehr zurückhaltend gewesen und hatte sich eher auf ihre Arbeit und ihre Bücher konzentriert. Doch jetzt schien sich etwas in meiner Mutter verändert zu haben. Ich trat vorsichtig näher und beobachtete die beiden. Ich spürte, wie sich meine Verwirrung langsam in Freude verwandelte. Der Anblick des kleinen Dalmatiner Welpen brachte auch mein Herz zum Schmelzen. Ich konnte die Verspieltheit und Unschuld des kleinen Hundes förmlich spüren. Die Frage an meine Mutter vergaß ich in diesem Augenblick komplett.
> Meine Mutter wandte sich mir zu und lächelte. "Schau mal, Sabine", sagte sie mit einem Hauch von Aufregung in ihrer Stimme, "ich habe beschlossen, uns einen neuen Familienmitglied zu holen. Er ist dein Geburtstagsgeschenk. Dieser kleine Welpe wird uns viel Freude bereiten." Ich konnte nicht anders, als meiner Mutter zu glauben. Ich spürte, dass dieser Dalmatiner Welpe nicht nur ein Haustier war, sondern auch ein Symbol für einen neuen Anfang. Mit einem warmen Lächeln trat ich näher und streckte meine Hand aus, um den kleinen Welpen vorsichtig zu berühren. Der Welpe schnupperte neugierig an meiner Hand und leckte dann liebevoll meine Finger. In diesem Moment wusste ich, dass wir gemeinsam eine wundervolle Zeit mit unserem neuen Familienmitglied erleben würden.
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> KAPITEL 3 – Heute
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> Inzwischen saß ich eingemummelt in meiner Jacke in der Ringbahn. Das stumpfe Rattern der Bahn ließ mich leicht vor mich hin dösen. Von anderen obdachlosen Frauen wusste ich, dass sich die Wochenenden lange ziehen konnten, weil dann nur noch wenige Einrichtungen geöffnet hatten. Es gab zwar noch Tagesstätten, die für Frauen und Männer waren und geöffnet hatten, doch meine Hemmungen waren noch zu groß, um dorthin zu gehen. Genauso verhielt es sich mit dem „Betteln“ . Gerade war wieder so jemand eingestiegen “Guten Tag. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich bin leider obdachlos und habe großen Hunger. Vielleicht haben sie etwas Kleingeld oder Essen für mich? Vielen Dank. “ Sprach der Penner von der Tür des Waggongs aus. Sein Haar und Bart waren ungepflegt und er hatte abgetragene und schmutzige Kleidung am Leib. Dann ging er durch die Reihen in der Hoffnung auf Kleingeld.
> Ich entschied mich an der nächsten Station auszusteigen. Inzwischen war es später Vormittag und ich nahm auf einer der hinteren Bänke in der U-Bahn-Station Platz. Angespannt wühlte ich in meinem Portmonee, um mein Geld zu zählen. 8 Euro und ein paar Cent waren noch drin. Am Montag würde ich eine neue Fahrkarte benötigen. 35€ muss ich bis dahin mindestens auftreiben müssen, aber wie? An mir lief ein Mann mit einer großen Ikea Tasche vorbei. Er blickte in den Mülleimer, aus dem nächsten holte er zwei Pfandflaschen heraus. Hmmm, Die Leute in der U-Bahn ansprechen traue ich mich nicht, aber das mit dem “Müllkucken” wäre ein Versuch wert. Also begann ich, immer eine Station weit zu fahren, auszusteigen und alle Mülleimer an der Haltestelle nach Flaschen abzusuchen. Nach rund einer Stunde hatte ich einige Faschen in der Tasche. Doch am Supermarkt holte mich die magere Beute auf den Boden der Tatsachen zurück. Gerade einmal 2,16 € hatte ich zusammengesucht. Entnervt holte ich mir einen Kaffee bei Mc Donald und setzte mich in die hinterste Ecke des Restaurants. Die Stunde hatte mir gezeigt, dass ich damit vielleicht genug Geld für essen und trinken verdienen könnte, aber niemals das Ticket für die Bahn oder andere größere kosten decken könnte. Entnervt schaltete ich mein Handy an. Bei Facebook hatte ich mich nach den Horrornachrichten am Morgen wieder ausgeloggt, sodass ich keine Nachrichten mehr bekam. Da im Handy eine neue Sim-Karte eingelegt war, konnte auch mein Mann mich darüber weder mit Anrufen noch per SMS terrorisieren.
> Es gäbe für mich noch eine andere Möglichkeit an Geld zu kommen. Ich kannte mich im Milieu gut genug aus. Doch ich wollte ihm den Rücken kehren. Zu viele Jahre hatte ich darin schon verbracht. Angstschweiß lief mir über die Stirn, als ich nur daran dachte und begann zu zittern. “Reiß dich zusammen” ermahnte ich mich selbst und öffnete die Seite. Mein Kaffee war inzwischen schon kalt als ich versuchte mich einzuloggen. “Sie wurden gesperrt.” ploppte es in meinem Handy auf. Na toll! Dachte ich. Genervt machte ich mich an die Arbeit und erstellte ein komplett neues Profil. Dank der neuen Handy Nr. konnte ich mich auch leicht Registrieren. Rasch füllte ich die Eckdaten noch aus. Da ich die Stadt etwas kannte, wusste ich auch einige Locations, wo es dann hin gehen könnte. Ich packte meine Sachen und machte mich auf dem Weg. Genervt und wütend wieder darauf zurückgreifen, ja fast schon in einer “Scheißegalstimmung” ging ich zur U-Bahn. Die Fahrt würde 7 oder 8 Haltestellen dauern. Mit dieser scheißegalstimmung stellte ich mich in den Türbereich, atmete tief durch und rief:” Guten Tag. Die Fahrkarten... möchte ich nicht kontrollieren. Doch vielleicht hat der ein oder andere etwas Kleingeld für eine Obdachlose Frau über?” Und lief mit dem Becher in der Hand durch den Gang, “Danke schön” “Vielen Dank” “Dankeschön.“ rief ich den Fahrgästen, die etwas Geld gaben zu. Ungläubig stieg ich an der nächsten Haltestelle wieder aus. Es hatte tatsächlich geklappt. Alleine die erste Runde hatte etwa 1,50€ gebracht. Ich packte das Geld ein und zog dasselbe im nächsten U-Bahn Waggon ab. Solange bis ich am Zielbahnhof war.
> Am ende waren es 6 €und ich suchte wieder ein Cafe oder Restaurant in der nähe auf. Ich lief zwei Blocks weiter um nicht zu nah am Viertel zu sitzen. Es war spät am Mittag und mein Hunger meldete sich, sodass ich mir ein Mittagsangebot holte und es mir bei einem Chinesen bequem machte. Mit dem Handy öffnete ich die Seite wo ich mein Profil erst vor kurzem eröffnet hatte. Wie zu erwarten hatte ich die ersten Anfragen im Postkasten. Vorerst hatte ich als "Arbeitszeiten" nur den Samstag und Sonntag Tagsüber angegeben. Nun hieß es nur noch einen Treffer zu erziehlen. Die nächste Stunde verbrachte ich mit dem beantworten der Anfragen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Inzwischen bestellte ich mir schon ein Getränk nach damit die Bedienung mich in ruhe lies. Der könnte klappen, murmelte ich nachdem ich seine Positiven Bewertungen las. "Hey. Am besten würde es in dem Pärchenhotel *Lärchenhof* passen. Ich hätte von jetzt bis 19 Uhr Zeit." schrieb ich ihm zurück. Während ich noch auf eine Antwort wartete meldete sich ein anderer zurück. Ein Treffer. Er könnte in 30 Minuten am Treffpunkt sein. Nachdem ich ihm eine Bestätigung gesendet hatte machte ich mich auf dem Weg. Ich wusste das ich ohne Erwartungen zu dem Date ging. Oft genug hatten mich Kunden verarscht und waren nicht erschienen. Inzwischen hatte ich genügend Erfahrung, sodass mir das nur noch selten passierte. Die Hecke vor der ich stand gab mir etwas Schutz und durch die Bushaltestelle wirkte es unauffällig das ich dort wartete. Tatsächlich erkannte ich ihn kurz darauf vor der Pension wartend. Langer schmaler Körperbau, blaue Jeans und eine Schwarze Aktentasche. "Hey." grüßte ich freundlich. "Bist du Vandas?" fragt er etwas schüchtern. Dabei begutachten seine blauen Augen mich von oben bis unten. "Ja genau. Wollen wir rein gehen. " sage ich und zeige auf den Eingang. Wir gehen zusammen durch die Eingangstür. Nach wenigen schritten erwartet uns hinter dem Tresen ein älterer Mann. Viele Falten prägen sein Gesicht. Und er fragt nur knapp. "Hallo. Möchten sie eine halbe oder ganze Stunde. " "Eine halbe reicht." sagt meine Begleitung und bezahlt das Zimmer. Stumm bekommen wir den Schlüssel und gehen in die Nummer 5 . Die alten vergilbten Vorhänge sind zugezogen. Ein Waschbecken am Rand, zwei Stühle aus Holz, Schwarze Nachttische und ein großes Bett was lediglich zwei Kissen und einen Weißen Bezug hat füllen das spärliche Zimmer. Der Mülleimer hinter der Tür ist mit einigen Parisern und Tempos gefüllt. Unaufgefordert bekomme ich von ihm mein Geld gereicht. Ich entkleide erst mich und dann ihm bevor ich ihm wie versprochen einen Blase, gezielt streife ich ihm einen Pariser über. Wenige Minuten später hat er seinen Orgasmus und beginnt danach sich zügig anzuziehen. Mit einem flotten "Danke dir tschüs " geht er schon aus der Tür während ich mich noch in ruhe anziehe. Wie er auch verlasse ich das Stundenhotel. Ich überprüfe nochmal meine Nachrichten von der Internetseite. Erschrocken schaue ich auf die Uhr. Denn auch mein anderer Termin hatte zugesagt und würde in weniger als 10 Minuten hier sein. Dieser war etwas anspruchsvoller, zügig las ich mir nochmal seine Anforderungen durch. Wieder an der Haltestelle stehend lies ich meine Blicke umherwandern. "Sind wir verabredet ?" Fragt mich ein Mann im Dicken Mantel. "Ich denke schon, wenn sie Benjamin sind." entgegne ich. "Schön freut mich lass uns rüber gehen." wir überqueren beide wieder die Straße. Im Zimmer stellt er einen Piccolo und zwei Sektgläser ab. Er will es gemütlich angehen lassen. Ich nur noch im Slip und BH, er mit einem Blauen Hemd , welches er schon zur hälfte aufgeknöpft hat, bekleidet sitzen wir auf dem Bett. Er redet viel warum er mich Gebucht hat. Das er eine Frau hat die aber kaum noch Lust auf Sex hat und er ja auch kaum Zeit dafür findet. Dabei trinken wir beide das Glas leer. Der eigentliche Akt während wir miteinander schlafen ist für ihn eher beiläufig und dauert nur wenige Minuten. Auch beim anziehen lässt er sich Zeit und besteht darauf mich ebenfalls anzuziehen. Wir verlassen zusammen die Pension und er verabschiedet sich noch mit einen Kuss auf meiner Wange.
> Ich biege in die andere Richtung ab und laufe bis zur nächsten U-Bahn Haltestelle. Nachdem ich einen Sitzplatz in der hinteren Ecke erhascht habe gehe ich nochmal Online um mein Werbeprofil wieder offline zu stellen. Ich verstaue die 200€ von den beiden Freiern sicher in meiner Brusttasche und atme erleichtert durch. Die Fahrtkosten wären erst einmal sicher, stellte ich beruhigt fest. Langsam mache ich mich auf dem Rückweg zur Notübernachtung die ab 19 Uhr ihre Türen wieder öffnet.
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> Drei weitere Frauen warten bereits vor dem Eingang auf Einlass. Wir nicken uns kurz zu bevor wir den erlösenden Türzummer hören. "Nina, könntest du mich für eine halbe Stunde nach unten zu meinem Bett und der Dusche lassen?" frage ich sie nachdem alle Frauen den Eingangsbereich verlassen haben.
> Sie stimmt zu, sodass ich mich unten schnell Dusche und die letzen frischen Sachen anziehe. Oben beim Abendessen begegne ich Eva. Sie blickt mich grimmig an und wechselt kein Wort mit mir. Auch die zweite Nacht habe ich noch ein Zimmer für mich allein. Doch wieder plagen mich Albträume wie fast jede Nacht.
> "Sabine komm sofort aus dem Haus, höre ich meinen Mann brüllen. Gefolgt von einem Gedonner und Knall als die Tür eingetreten wird. Zwei andere Männer stürmen auf mich zu und packen mich. Unsanft werde ich in den Transporter geworfen. Mein Mann kommt zur Wagentür und lacht nur. Ich sagte ja ich finde dich." Ich wache schreiend auf. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Es dauert bis ich mich beruhigt habe und merke es war nur wieder ein Traum.
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> Sonntag, Tag 7. Seid einer Woche bin ich auf der Flucht vor ihm. Auch wenn die Polizei mich inzwischen gefunden hat weiß zumindest er noch nicht wo ich bin. Seid zwei Stunden sitze ich im Waschsalon und warte die letzten Minuten ab das meine Kleidung fertig ist. Zum gefühlt hundertsten mal begann ich eine E-Mail an das Jugendamt zu schreiben. "Sehr geehrter Herr Buschmann, ich bin die Mutter von ..... " ich lösche es wieder und ärgere mich über mich selbst nicht die passenden Worte zu finden. Für den Rest des Tages schalte ich das Handy aus. Mit der sauberen Kleidung im Rucksack mache ich einen Abstecher zu einem Kino. Mit einem Thriller über ein Paar was sich beim Snowboarden verliert will ich mich etwas ablenken und gleichzeitig der Kälte entfliehen. Dank dem verdienten Geld ist das kein Problem zu bezahlen. Zumindest kurz kann ich dem ganzen gedanklich entfliehen. Auf dem Rückweg kaufe ich noch einen Sekt im Speti. Nach und nach wird die Flasche entleert. Den Tag vergessen, ihm gar entfliehen War mein Ziel . Ordentlich Beschwipst erreiche ich meinen Schlafplatz. Im Zimmer angekommen falle ich in einen tiefen Traumlosen schlaf. Selbst als Nina mir noch eine Zimmernachbarin bringt werde ich am Abend nicht wach. Bleibt zu hoffen das der Montag besser weiter geht.
Kapitel 4 – Früher
Es brachen neue Zeiten an, als der wechsel in die Realschule kam. Nicht nur musste ich mich an eine komplett neue Schule, ein neues Gebäude und neue Menschen gewöhnen. Auch schwing die Angst mit das dass schmerzhafte Mobbing aus der Grundschule hier weiter gehen würde. Der Angst wich nach und nach der Erleichterung. Hier ging es friedlicher zu. Auch außerhalb der Schule tat sich einiges. War ich in der Grundschule noch eine begeisterte Schwimmerin so öffneten sich neue Interessen und Themen in meinem Leben – wie die Welt der Bücher. Die große Stadtbücherei wurde zu meinem Zufluchtsort, ein Ort, an dem ich mich in andere Welten flüchten konnte. Die Realschule lag in der nähe und so ging ich fast immer nach der Schule für eine weile dort hin. Dort verging die Zeit für mich oft wie im Flug.
Zuhause erwartete mich eh zum Schulschluss niemand. Meine Mutter hatte vor Monaten eine neue Stelle bei einem Mobilen Pflegedienst angefangen. Morgens verließen wir noch gemeinsam das Haus doch zurück musste ich alleine mit dem Bus fahren.
Auch nach dem Umzug würde sich nicht viel daran ändern das ich alleine nach Hause fahren würde. Meine Eltern hatte eine schöne Wohnung mit einen kleinen Garten dahinter gefunden. Erst kürzlich hatten sie sich entschieden es noch einmal zu versuchen und zusammen zu ziehen. Die Sommerferienreisen verbrachten wir eh schon seid Jahren wieder zusammen am Meer bei meinem Opa und meine Mutter hatte der bitte meines Vaters endlich zugestimmt wieder zusammen zu Leben. Mein Vater arbeitet bei der Stadt und war für alles rund um Hof und Hauspflege zuständig. Auch ihn sah ich dadurch erst am Abend.
Die Osterferien rückten unaufhaltsam näher, und in einer der Schulpausen setzte ich mich auf eine Bank entlang der Mauer. Mit einem nachdenklichen Blick starrte ich auf meine Brotdose, schloss die Augen, senkte den Kopf und ließ meine Gedanken in die Ferne schweifen. Meine Freundin, die neben mir stand, konnte es nicht länger ertragen und fragte besorgt: "Sabine, was ist los? Du hast gerade eine fantastische Mathe Note bekommen und schaust, als ob sieben Tage Regenwetter wären." Langsam hob ich den Blick und seufzte tief. Meine Augen waren von einer Mischung aus Enttäuschung und Verwirrung geprägt, als ich versuchte, meine Gefühle in Worte zu fassen: "Es sind die Osterferien. Ich soll wieder bei meinen Großeltern sein. Ich will lieber hier bleiben. Es ist so öde dort und anstrengend", seufzte ich.
Meine Freundin legte tröstend eine Hand auf meine Schulter und versuchte, mich aufzumuntern: „Rede mit deinen Eltern. Du gehst jetzt in die 5. Klasse. Dein Vater wohnt wieder bei euch und wäre abends zuhause, um auf dich aufzupassen. Du fährst ja nur dorthin, weil deine Mutter dann tagsüber arbeitet.“ Dankbar für ihre Worte versprach ich, es zu versuchen, und kehrte zurück in die Klasse, als das Läuten erklang.
Am selben Abend sprach mein Vater über die bevorstehenden Osterferien: "Bine, dieses Jahr werden die Osterferien etwas anders verlaufen", verkündete er. "Du wirst nur 9 Tage alleine bei deinen Großeltern verbringen. Danach werde ich für den Rest der Ferien dazu kommen." Ich war überrascht und zugleich erleichtert, dass ich nicht so lange alleine bei meinen Großeltern sein musste. Doch ich konnte nicht verstehen, warum mein Vater das plante. "Gibt es einen bestimmten Grund dafür?", fragte ich neugierig. "Ja, mein Schatz, aber den werde ich dir erst verraten, wenn es soweit ist", antwortete er geheimnisvoll.
Nun war ich noch mehr beunruhigt und traute mich nicht zu fragen, ob ich die restlichen Tage zu Hause bleiben durfte. Nach einer schlaflosen Nacht entschied ich mich zu einem kurzen Ausflug in die Innenstadt.
Ziellos schlenderte ich durch die belebte Fußgängerzone, meine Gedanken verloren in dem Gespräch von gestern mit meinem Vater. Die warme Sonne schien mir ins Gesicht. Plötzlich wurde jedoch meine Aufmerksamkeit von einem zauberhaften Bücherladen geweckt, der wie ein verborgener Schatz zwischen den Geschäften lag. Neugierig trat ich ein und ließ meinen Blick über die unzähligen Bücher schweifen, Thriller, Romane, Kochbücher, Comics hier gab es alles.
Mein Taschengeld wollte ich eigentlich für süße Versuchungen ausgeben. Doch dann fiel mein Blick auf ein kleines, unscheinbares Buch, das mit seinem flauschigen Einband und den bunten Farben sofort meine Aufmerksamkeit erregte. „Tagebuch“ stand in verspielten Lettern darauf geschrieben. Meine Finger strichen sanft über das flauschige Einband, während ich mich fragte, was wohl zwischen den Seiten verborgen sein wollte. Ein Hauch von Abenteuer lag in der Luft, als ich das Buch vorsichtig öffnete und die Seiten durchblätterte. Die leeren Seiten schienen förmlich nach meinen Gedanken zu rufen, als würden sie darauf warten, mit meinen Worten und Zeichnungen gefüllt zu werden. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich mir vorstellte, wie ich meine Gedanken sortieren und meine kreativen Ideen auf Papier bringen könnte. Ohne zu zögern, nahm ich das Buch in meine Hände und spürte, wie es sich warm und vertraut anfühlte. Es war, als hätte ich etwas gefunden, das mir dabei helfen würde, meine innersten Gedanken, Ängste, Sorgen und Träume festzuhalten. Mit einem glücklichen Seufzen machte ich mich auf den Weg zur Kasse und kaufte das Buch, das nun zu meinem ganz persönlichen Schatz werden sollte. Hatte ich vorher meine Gedanken in einem kleinen Notizbuch geschrieben und es sorgsam hinter einer lockeren Leiste des Kleiderschranks versteckt so hatte ich nun einen Ort der diesem würdig war. Doch so sehr ich meine Gedanken in Worten in diesem Buch verstecken konnte. So weniger konnte ich mich dagegen stemmen zu meinen Großeltern fahren zu müssen.
Ich saß neben meiner Mutter im Zug, der uns zu meinem Osterurlaub bei den Großeltern bringen sollte. Die Sonne schien durch das Fenster und tauchte das Abteil in ein warmes Licht. Die Geräusche des Zuges und das sanfte Rattern der Schienen begleiteten mich auf meiner Reise. Wir hatten gerade den Zug gewechselt und waren nun in dem zweiten Zug, der uns bis zu unserem Ziel bringen würde. Es kam der Moment, den ich jedes Mal ein wenig bedauerte. Zwei Haltestellen bevor wir unser Ziel erreichen würden, musste meine Mutter aussteigen, um in ihren Zug nach Sylt umzusteigen. Es war immer ein seltsamer und trauriger Augenblick, wenn wir uns voneinander verabschieden mussten, auch wenn es nur für kurze Zeit war. Ich nahm meinen Platz direkt am Ausgang ein und beobachtete, wie meine Mutter den Zug verließ. Ein Gefühl der Einsamkeit überkam mich für einen kurzen Moment. Auch erinnerte ich mich daran, dass meine Großeltern mich am Bahnhof abholen würden. Der Zug fuhr weiter und die Landschaft zog an mir vorbei. Ich ließ meine Gedanken schweifen und begann mein Tagebuch aus der Tasche zu holen.
Liebes Tagebuch, ich freue mich eigentlich auch auf den bevorstehenden Urlaub bei meinen Großeltern. Es wird sicherlich gemütliche Spieleabende, aufregende Kletterabenteuer im Baumhaus und viele weitere schöne Erlebnisse geben. Allerdings muss ich auch zugeben, dass es manchmal anstrengend sein kann, besonders mit meiner schwerhörigen Oma und meinem lauten Opa, der hin und wieder Wutausbrüche hat. Ich hoffe nur, dass es mir dieses Mal gelingt, nicht alleine mit ihm zu sein.
Schließlich erreichte der Zug den Zielbahnhof. Ich stieg aus und sah bereits meine Großeltern am Bahnsteig stehen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit, dennoch blickte ich möglichst freundlich, als ich sie erblickte. Die ersten Tage bei meinen Großeltern waren harmonisch und schön. Die Sonne schien warm vom Himmel, während wir fröhlich im Garten spielten und die Zeit in vollen Zügen genossen. Es schien, als ob jegliche Sorgen und Streitigkeiten weit weg waren. Auch Wutausbrüche vom Großvater gab es kaum. Doch dann kam der Montag, an dem meine Oma zu einigen Untersuchungen ins Krankenhaus musste. Es war nichts Ernstes, nur routinemäßige Vorsorgeuntersuchungen, aber dennoch bedeutete es, dass ich den Tag mit meinem Großvater alleine verbringen musste. Mein Großvater war eine stadtbekannte und respektierte Persönlichkeit. Im Laufe seines Lebens hatte er zahlreiche Geschäfte aufgebaut und mit großem Erfolg wieder verkauft. Aktuell besaß er ein kleines Hotel, das er nun nur noch verwaltete. Doch auch diese Aufgabe erforderte seine regelmäßige Präsenz vor Ort.
Nach einem herzhaften Frühstück machten wir uns gemeinsam auf den Weg zum Hotel. Als wir schließlich das Hotel erreichten, strahlte es in seiner ganzen Pracht. Die Fassade war mit bunten Blumen geschmückt und verlieh dem Gebäude einen einladenden Charme. Ich konnte es kaum erwarten, das Innere zu erkunden und die Geheimnisse, die hinter den Türen verborgen lagen, zu entdecken. Doch bevor wir uns auf Entdeckungstour begeben konnten, hatte mein Großvater noch einige geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen. Ich wartete geduldig im Speiseraum des Hotels, während das Personal sich mit meinem Großvater besprach. Der Speiseraum war einladend und gemütlich eingerichtet, und in einer Ecke befand sich ein eigener Bereich für Kinder. Dort gab es bunte Spielzeuge und eine kleine Spielküche. Doch auch größere Kinder fanden hier interessante Sachen. Als mein Großvater schließlich zurückkehrte und mich abholte, war ich ein wenig wehmütig. Ich hätte gerne noch länger in der Kinderecke gespielt. Mein Großvater führte mich stolz durch die Räumlichkeiten, zeigte mir die gemütlichen Zimmer und erzählte von den Gästen, die hier schon ihre Nächte verbracht hatten. Ich stand fasziniert vor der gewaltigen, grauen Putzmaschine, die mit ihren zwei orangefarbenen, großen runden Scheuer kreisen als Füße imposant wirkte. Ich konnte nicht anders, als staunend auf das beeindruckende Gerät zu blicken. Doch plötzlich rief mein Großvater mich zu sich, als hätte er etwas Besonderes zu zeigen. „Sabinchen mein Engel komm mal her zu mir.“ Es war, als ob die Zeit für einen Moment stillstand. Die Worte meines Großvaters drangen wie ein giftiger Nebel in meine Ohren. Ich konnte die versteckte Boshaftigkeit hinter seiner freundlichen Fassade spüren. Die Gewissheit, dass ich mich in einer gefährlichen Situation befand, ließ mein Blut gefrieren. Ich versuchte, meine Angst zu verbergen, doch mein zitternder Körper verriet meine innere Unruhe. Ich konnte den Moment der Wahrheit nicht länger hinauszögern. Mit einem letzten Atemzug der Entschlossenheit trat ich vor meinen Großvater, bereit, mich dem Unvermeidlichen zu stellen. Ich wusste, dass ich stark sein musste, um das zu überstehen, was auf mich zukommen mochte. Wir waren in einem der Hotelzimmer als er mich zu sich rief und mir befahl, mich auf das Bett zu setzen. Was dann passierte versuchte ich auszublenden und starrte an das Muster an der Decke.
Als er endlich von mir abließ und die Worte "mach dich sauber" über seine Lippen kamen, flüchtete ich hastig ins Badezimmer und verschloss die Tür hinter mir. Ein stechender Schmerz durchzog meinen Unterleib und ich konnte nicht verstehen, warum ich blutete, obwohl ich nicht meine Regel hatte. Verwirrt und verängstigt versuchte ich, die Schmerzen zu ertragen, während ich mich mit einem Waschlappen reinigte. Plötzlich hörte ich ein unheimliches Geräusch - ein Ratschen an der Tür. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich realisierte, dass er die Tür mit dem Generalschlüssel von außen geöffnet hatte. Da stand er wieder, angezogen und mit einem Ausdruck der Überlegenheit in seinem Gesicht. In der einen Hand hielt er die blutbefleckte Bettwäsche, in der anderen meine Kleidung. "Zieh dich an, mein Liebes", säuselte er, als wäre nichts geschehen. Eingeschüchtert und voller Angst tat ich, was er verlangte, und zog mich an. In meiner Unterhose klebte eine Binde, wie die, die ich normalerweise während meiner Periode trug. Wortlos und mit gesenktem Blick trat ich aus dem Badezimmer heraus, unfähig, meine Gefühle in Worte zu fassen. "Hier, für dich, mein Liebes", sagte er und reichte mir einen kleinen Teddybären. Seine Worte klangen wie Hohn in meinen Ohren. Ich konnte nicht anders, als den Teddybären anzunehmen, obwohl ich wusste, dass er nur ein weiteres Mittel war, um mich zu manipulieren. „Lächeln, nicht vergessen!", fügte er hinzu und zwang mich, ein gequältes Lächeln aufzusetzen. Ich fühlte mich wie eine Marionette in seinen Händen, gezwungen, seine Wünsche zu erfüllen, während ich innerlich zerbrach. "Komm, wir müssen noch einmal nach draußen", sagte er und nahm meine Hand. Ich folgte ihm widerwillig, während mein Herz schwer und meine Gedanken in einem Wirrwarr gefangen waren. Ich wusste, dass ich keine Wahl hatte, dass ich mich fügen musste, um weitere Gewalt und Demütigung zu vermeiden. Bald würden wir meine Oma abholen müssen und ich konnte nur hoffen das nichts mehr passieren würde. Das Hotel meines Großvaters lag neben einem alten Friedhof. Als er mich mit einer gewissen Eile aus dem Hotel führte und meine Hand festhielt wurde ich immer Unruhiger. Ich folgte ihm widerstandslos, während ich mich fragte was er mir wohl zeigen wollte.
Ich betrat den Friedhof und blieb an einem Ort stehen, der von dichten Bäumen umgeben war. Die Stimmung war gespenstisch und die Atmosphäre schwer wie Blei. Ich spürte, wie sich eine Gänsehaut über meine Arme und meinen Rücken legte. Ein unheimliches Gefühl der Beklemmung machte sich in mir breit, als ich erkannte, dass es einen besonderen Grund gab, warum wir gerade an diesem Ort angehalten hatten. Die Sekunden dehnten sich zu einer Ewigkeit, als mein Großvater endlich das Wort ergriff. Er wandte sich mir mit einem geheimnisvollen Lächeln zu und fragte: "Weißt du, was das ist?" Ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete, als ich ängstlich antwortete: "Ja, ein Grab." Seine Augen funkelten, als er mir bestätigte: "Genau, mein Liebes. Und dort werden Menschen begraben, die gestorben sind. Aber auch böse, böse Kinder." Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich die bedrohlichen Worte meines Großvaters hörte. Ich wagte es nicht, etwas zu erwidern, sondern schwieg, während meine Gedanken wild durcheinander wirbelten. Die Vorstellung von bösen Kindern, die in den Gräbern ruhten, ließ meine Fantasie wilde Geschichten spinnen. Plötzlich nahm die Atmosphäre eine bedrohliche Wendung, als mein Großvater mich mit einem finsteren Blick ansah. "Weißt du, wenn du jemandem erzählst, dass wir heute Liebe gemacht haben, wirst du genau dort landen", drohte er und warf meinen Teddybären in das offene Grab. Mein Herz schien für einen Moment stillzustehen, als ich ihn in die Tiefe stürzen sah. In einem Anflug von Verzweiflung und Angst brach ich in bitterliches Weinen aus und flehte meinen Großvater an: "Nein, nein, nein! Ich werde nichts sagen, aber wirf mich nicht da rein!" Meine Stimme bebte vor Angst und meine Tränen flossen unaufhaltsam. Ich konnte nicht begreifen, wie grausam und unbarmherzig mein Großvater sein konnte. Mein Großvater versuchte mich zu beruhigen, während er mir sanft über den Kopf strich. "Nun beruhige dich, mein Kind", sagte er in einem besänftigenden Ton. "Du musst mir nur versprechen, niemandem von dem, was heute passiert ist und den anderen sachten zu erzählen. Dann wird dir nichts geschehen. Verstanden?" Ich schluchzte und nickte unfähig Worte zu finden. "Versprochen, das tue ich", flüsterte ich leise während ich mich an seinen Arm klammerte. Gemeinsam verließen wir diesen fürchterlichen Ort der von einer düsteren Aura umgeben war. Ich konnte immer noch das Echo meiner eigenen Ängste in meinen Ohren hören während ich mich bemühte die schrecklichen Ereignisse zu verdrängen. Ich wusste dass ich nun ein Geheimnis hüten musste das ich niemals preisgeben durfte wenn ich mein eigenes Wohl bewahren wollte.
- Stichpunkte, Realschule, Kommunion, Periode/Radunfall, halt mit Tieren rein nehmen, keine Erinnierungen an Zeit zuvor mit rein nehmen.